Konrad Zuse wäre im Jahr 2010 hundert geworden. Pünktlich zum Zuse-Jahr hat F. C. Delius mit »Die Frau, für die ich den Computer erfand« einem Roman über ihn veröffentlicht.
Als Erzählsituation dient ein fiktives Interview mit dem 84-jährigen Zuse in einer Vollmondnacht 1994. Zuse und sein Interviewer sitzen auf der Aussichtsterrasse eines Gasthauses im hessischen Bergland mit Blick in die nächtliche Landschaft. Unterhalb dieses Berges hatte Zuse in den fünfziger Jahren seine Werkstatt. Diese Szenerie macht Lust aufs Lesen.
Wie im Klappentext angekündigt, lässt Delius Zuse »seine Ansichten über
Gott und die Welt auspacken«. Dies tut er selbstgefällig und ausschweifend.
Er zitiert gerne, wiederholt sich oft und bleibt stets im Belanglosen und
Pseudotiefsinnigen. Die Monologe ziehen sich über Seiten, ohne konkret zu
werden.
Selbst wenn der fiktive Zuse über seine Erfindungen, die Technik oder die
Informatik spricht, scheinen sie ihm nur in Bezug auf klassisches
Bildungsgut, das auf Allgemeinplätze und Zitate reduziert wird, interessant
zu sein.
So sagt er zum Binärcode: »Was sind denn die zwei Seelen in der Brust anderes
als Null und Eins, als ein bestimmter Ja-Nein-Wert?« (S.123)
Als gegen Morgen nur noch das Band weiter dem endlosen Geplauder lauscht, weil der Interviewer eingeschlafen ist, beneidet der Leser ihn unwillkürlich. Wieder einmal spricht Zuse von und mit Ada Lovelace, der Phantasiegestalt und Muse, die ihm Delius als »das ewig Weibliche« zugestanden hat, und es kommt der Verdacht auf, dass auch sie, die Leidenschaftliche, die Wissenschaftlerin, die Spielerin sich in einem Roman von Delius als eine langweilige Person entpuppen könnte.
Delius schreibt nur am Rande über das, was Zuse Besonderes geleistet
hat.
So wird zum Beispiel eine seiner wichtigsten Leistungen, die Entwicklung der
computergerechten Gleitkommazahl, nur als Begriff erwähnt.
»Wie oft habe ich Ihnen das Gleitkomma erklärt, zweimal, dreimal, einmal?
… Wirklich? Kein einziges Mal? Auch gut, dann lass ich das einfach mal
weg, […]«, lässt Delius Zuse sagen. (S. 115)
In einem Interview mit dem Rundfunk Berlin-Brandenburg, sagt Delius, als
der Begriff »Gleitkomma« fällt: »Ich finde auch: tolles Wort. Aber ich hab's
nicht verstanden. Ich behalt so was [nicht], selbst wenn ich mir Mühe gebe,
es zu verstehen, vergess ich's wieder. Das sind Sachen, die einfach in meinem
Gehirn nicht richtig funktionieren, so bin ich nicht konditioniert. Aber so
geht's ja den meisten Leuten« [lt. is.gd/51D7P].
Einem durchschnittlich begabten 15jährigen Jugendlichen kann man in zehn
Minuten nicht nur erklären, was eine Gleitkommazahl ist, sondern auch,
weshalb es eine wichtige Erfindung ist.
Stellen wir uns vor, Delius hätte einen Roman über Monet geschrieben, aber
kaum etwas über dessen Malerei gesagt.
In einem Interview würde er, als der Begriff Impressionismus fällt, sagen:
»Impressionismus – Ich finde auch: tolles Wort. Aber ich hab`s nicht
verstanden. Ich behalt so was nicht, selbst wenn ich mir Mühe gebe, es zu
verstehen, vergess ich`s wieder. Das sind Sachen, die einfach in meinem
Gehirn nicht richtig funktionieren, so bin ich nicht konditioniert. Aber so
geht`s ja den meisten Leuten.«
Die Kritiken wären vernichtend. Jeder würde sich fragen, warum Delius über
einen Maler schreibt, wenn er sich für Malerei nicht interessiert und auch
nicht bereit ist, sich mit dem Thema zu beschäftigen.
Im gleichen Interview behauptet Delius: »Ich hab kein Sachbuch über Zuse
geschrieben, das kann jeder.« Kann das jeder? Sicher nicht, zumindest kein
gutes Sachbuch – und auch keinen guten Roman. Dazu gehört zumindest
eine gewisse Hinwendung zum Thema und die Lust, sich mit ihm zu
beschäftigen.
Davon ist Delius weit entfernt und diese Einstellung vermutet er auch bei
seinen Lesern.
50 Jahren sind vergangen, seit Snows These von der fehlenden Kommunikation
zwischen den zwei Kulturen der Geisteswissenschaft und der Literatur
einerseits und der Naturwissenschaft und der Technik andererseits.
An der seither viel beschworenen Brücke zwischen den feindlichen Kulturen hat
Delius mit diesem Roman nicht gebaut.
Enzensberger hat sich 1998 in einer Rede von dem Chor der »Mit Mathematik
können Sie mich jagen!«-rufenden, scheinbar Gebildeten distanziert und eine
beidseitige Annäherung von Geistes- und Naturwissenschaften gefordert,
»[…] ein langwieriges, aber viel versprechendes Projekt, das
[…] unseren viel zu trägen Gehirnen ein gewisses Fitness-Training und
ganz ungewohnte Lustgefühle verschaffen könnte« [lt. is.gd/51DaE].
Bei respektvoller Annäherung des Dichters an die ihm fremde Kultur der
Informatik wäre ein spannender und außergewöhnlicher Roman möglich gewesen
– und vielleicht auch dieses ungewohnte geistige Lustgefühl.
Friedrich Christian Delius: Die Frau, für die ich den Computer
erfand
Rowohlt Verlag
ISBN 978-3-87134-642-2
19,90 €