Der folgende Beitrag stellt eine Erste Staatsarbeit vor, die 2007 geschrieben und von Meinert Meyer betreut wurde. Die Redaktion wünscht dieser Staatsarbeit eine größere Verbreitung. Deshalb wurde die Autorin gebeten, eine Zusammenfassung für die Rhino Didactics zu schreiben. Die Arbeit von Janna Schumacher ist öffentlich verfügbar (vgl. is.gd/acHFZ).
Die Studentin Johanna erzählt in ihrer Lerngeschichte, wie sie sich selbst etwas beigebracht hat. »Ich habe mir das »Kochen« selbst beigebracht. Bei meinen Eltern hieß es immer: »Schau beim Kochen zu, damit du später Mahlzeiten zubereiten kannst.« Ich hielt es nie für notwendig, solange ich bei meinen Eltern wohnte … Als ich dann mit 20 Jahren alleine lebte, ging mir das Fastfood und das Essen in der Kantine bald über! So musste ich mir etwas einfallen lassen, wenn ich Soßen, Königsberger Klopse oder Hühnerfrikassee begehrte!«
Die Aufgabe drängt sich ihr in der neuen Lebenssituation regelrecht auf, aber sie scheitert zunächst und muss verklumpte Soße »in der Toilette entsorgen«. Die Durchsicht solcher und ähnlicher Lerngeschichten, die die subjektive Sicht des Lernenden auf seine Lernerfahrungen präsentieren, die über Jahre von Prof. Dr. Meinert Meyer an der Universität Hamburg gesammelt wurden, zeigt, dass das Fehlermachen ein immanenter Bestandteil von Lernprozessen ist und dass es als motivierend erlebt wird. Aus dieser Beobachtung heraus entwickelte sich mein Forschungsinteresse für eine qualitative Studie über selbstreguliertes Lernen außerhalb von Schule.
Das selbstregulierte Lernen, ein pädagogisch-psychologisches Konzept, scheint sich für die Verbesserung von Lernprozessen als hervorragende Grundlage anzubieten. Lernende, die ihr Lernen erfolgreich selbst regulieren, motivieren sich selbst, planen ihre Lernaktivitäten, suchen sich geeignete Lernstrategien aus und lassen sich nicht ablenken. Wer selbstreguliert lernt, kann seinen Lernerfolg beeinflussen und übernimmt so Verantwortung für sein Lernen.
In meiner Arbeit begründet sich das Interesse am selbstregulierten Lernen aus Sicht der Bildungsgangforschung und der davon abgeleiteten Bildungsgangdidaktik, deren besonderer Forschungsschwerpunkt in der Rekonstruktion individueller Lernprozesse liegt. Diese sind in einem Spannungsfeld subjektiver Wünsche und Fähigkeiten einerseits und gesellschaftlicher und institutioneller Restriktionen andererseits zu beobachten. Damit ist die Frage angesprochen, wie es Lernenden gelingt, die fremden Anforderungen mit den eigenen Bedürfnissen so zu vereinen, dass ein bedeutungsvoller Lernprozess entstehen kann. Die Bildungsgangforschung erwartet, dass Lerninhalte, die für Schüler bedeutsam sind, eine aktive und reflexive Auseinandersetzung mit diesen Gegenständen zur Folge haben und zu höherstufigen Lernprozessen führen. Aus dieser Sicht bedeutet das Konzept des selbstregulierten Lernens, dass Lernende als aktive Gestalter ihres Lernprozesses ernst genommen werden und dass Selbstregulation die Auseinandersetzung mit Fremdregulation beinhaltet.
Ich entwickele in der Arbeit ein eigenes Modell des selbstregulierten Lernens, das die Struktur des selbstregulierten Lernens aus den Lerngeschichten wiedergibt und in dem empirische Befunde und Theorien aus pädagogischer Psychologie und Bildungsgangforschung vereint werden. Die Lerngeschichten werden mit der Grounded Theory ausgewertet.
Ein Überblick über den Forschungsstand zum selbstregulierten Lernen zeigt, dass es bislang kaum Untersuchungen in außerschulischen Lernumgebungen gibt. Auch in der Schule und vor allem im Erwachsenenbildungsbereich werden Lernprozesse häufig erforscht, ohne kontext- und situationsspezifische Merkmale zu beachten. Trotz meines didaktischen Interesses wende ich daher meinen Blick in dieser Arbeit auf Lernsituationen, die zunächst nichts mit Schule zu tun haben. Dahinter steht die Hoffnung, dass die Ergebnisse dieser Arbeit zur Weiterentwicklung einer bildungsgangdidaktischen Lehr-Lern-Theorie beitragen können.
Im Zentrum meiner Untersuchung steht die Frage, welche Bedingungen erfüllt sind, wenn selbstreguliertes Lernen außerhalb von Schule gelingt. Welche Erfahrungen machen Lernende mit der Selbstregulation ihres Lernens? Welche Merkmale machen das selbstregulierte Lernen in außerschulischen Situationen aus?
In der Studie konnten mehrere Lerntypen gebildet werden, die aufzeigen, wie Lernende beim selbstregulierten Lernen mit Fremdregulation umgehen. In der Auseinandersetzung mit fremden Ansprüchen werden eigene Ziele formuliert, zu deren Erreichung selbstreguliert Lernstrategien ausgewählt und durchgefhrt werden. Je nachdem wie weit die aus den fremden Ansprüchen gewonnenen Ziele mit den eigenen Werten und Zielen übereinstimmen oder integriert werden können, wird das Lernen als mehr oder weniger selbstbestimmt erfahren.
Hinsichtlich der kontextuellen und situativen Bedingungen habe ich mehrere Konstellationen ausgemacht, in denen selbstreguliertes Lernen außerhalb von Schule gelingt:
Außerdem habe ich gezeigt, dass das integrative Modell des selbstregulierten Lernens zu einer angemessenen Analyse der Lerngeschichten führt, wobei sich pädagogische Psychologie und Bildungsgangforschung sinnvoll ergänzen. Sowohl pädagogische Psychologen als auch Bildungsgangdidaktiker suchen nach den Bedingungen für individuell bedeutsame, selbstregulierte und selbstverantwortete Lernprozesse. Die pädagogische Psychologie konkretisiert Aspekte vor allem von Motivation, Zielorientierung und Lernstrategien. Die Bildungsgangforschung bietet für die Modelle des selbstregulierten Lernens aus der pädagogischen Psychologie eine wichtige Erweiterung, da sie das dialektische Verhältnis von Selbst- und Fremdregulation herauszuarbeiten vermag und besonders die kontextuellen und situativen Bedingungen von Lernprozessen in den Blick rückt.
Der Lernprozess in vielen Lerngeschichten lässt sich als relativ einfache Trial-and-error-Methode charakterisieren. Bei dieser Methode ist das Fehlermachen konstituierend für den Lernprozess. Dieses Ergebnis ist besonders aus didaktischer Perspektive interessant. Die Förderung des selbstregulierten Lernens in der Schule wird häufig durch das Bewusstmachen und Einüben von ausgefeilten kognitiven und metakognitiven Lernstrategien vollzogen. Einfaches Ausprobieren, bei dem auch Fehler gemacht werden können, die nicht negativ bewertet werden, scheint in der Schule wenig Platz zu haben. Wie gehen Schüler mit dem Fehlermachen in und außerhalb von Schule um? Wie muss Unterricht gestaltet sein, damit Schüler eine insgesamt positive Erlebnisqualität, die das Überwinden von negativen Erfahrungen enthält, entwickeln können? Diese Fragen bieten sich meines Erachtens an, um weiter zu erforschen, wie die außerschulischen Lernerfahrungen von Schülerinnen und Schülern mit der Selbstregulation ihres Lernprozesses auch in den Unterricht eingebracht werden können.
Janna Schumacher studierte Deutsch, Philosophie und Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg. Sie ist als Referendarin an einer Hamburger Gesamtschule tätig.