Philosoph: Ab und zu nehme ich mir ein Reclamheftchen, um ein wenig zu lesen. In diesem kalten Herbst war es eine ältere Textauswahl von Paul Lorenzen über „Theorie technischen und politischen Vernunft“ (Stuttgart 1978). Informatiker: Der Autor Paul Lorenzen ist mir nicht bekannt. Erzähl! Philosoph: Beim kursorischen Überfliegen z.T. nur für Mathematiker verständlicher Texte stieß ich auf eine interessante These, die vielleicht auch heute noch Gültigkeit beansprucht, aber auch bestritten werden dürfte. Dieser Widerspruch macht sie interessant; man müsste sie vielleicht erst in einem zeitgemäßen Begründungszusammenhang stellen. Informatiker: Für die Reaktivierung von Wissen gibt es viele Beispiele. Philosoph: Lorenzen stellt die These auf, dass das Wissen jeder wissenschaftlichen Disziplin für die Lösung eines Konfliktes relevant sein kann. Damit meint er, dass nicht alle Disziplinen und alles Wissen für jeden Konflikt relevant sind, aber jede Disziplin und jedes Wissen kann relevant werden. Informatiker: Das sehe ich auch so. Ein gutes Beispiel stellt die Berücksichtigung biologischer Determinanten bei Aushandlungsprozessen dar. Allerdings kann man einwenden, dass die Grundfragen nach den Möglichkeiten, diese Faktoren zu beeinflussen, bisher nicht geklärt sind. Philosoph: Nun, unterstellen wir einmal, an Lorenzens These müssten sich alle wissenschaftlichen Disziplinen reiben: Wie hält es da die Informatik? Informatiker: In den Informatikfakultäten ist „Informatik und Gesellschaft“ etabliert. Fragen nach der Verantwortung werden also im Fach diskutiert. Philosoph: Lorenzen greift folgende Unterscheidung auf. Die Konflikte können sich auf die Mittel aber auch auf die Ziele beziehen. Im günstigen Falle sollte also eine wissenschaftliche Diszplin Menschen – auch die Politik – beraten – Menschen, die in einem Konflikt leben, weil sie sich miteinander unverträgliche Ziele gesetzt haben, bzw. Menschen, die nicht wissen, mit welchen Mitteln sie miteinander verträgliche Ziele erreichen können. Lorenzen spricht hier von einem politischen Wissen, das gerechter Zwecksetzung dient, und von einem technischen Wissen, dass klugen Mittelfindung bei schon gesetzten Zwecken dient. Wohl mit Bedacht wird hier Tugendbegriff Klugheit in die Diskussion eingebracht. Und hier frage ich den Informatiker, zu welchen Konflikten könnte die Informatik relevant werden, zu welchen Konfliktfeld könnte die Informatik die Menschen oder die Politik – wie gesagt: im günstigen Falle – beraten? Informatiker: Zentral ist hier das Verständnis der Fachwissenschaft: von ACM – „What can be efficient automated?“ bis zu Capurro – „technische Gestaltung menschlicher Interaktionen in der Welt“. Die Grundfrage besteht darin, dass die Informatik durch die von ihr geschaffenen Artefakte die Welt so verändert, dass die „Informatik inside“–Gesellschat eine andere/neue ist. Floyd spricht von der „autooperationalen Form“. Philosoph: Bitte haben Sie Mitleid mit einem Nichtinformatiker und formulieren Sie Ihre Kernaussagen noch einmal so, dass auch ich sie verstehe! Informatiker: Im Unterschied zu anderen Wissenschaften verändert jedes Informatiksystem sofort die Welt, d.h. Gedanken – in Datenstrukturen und Algorithmen gegossen – werden Bestandteil der Welt und verändern sie dadurch. Philosoph: Wir sollten uns bei Gelegenheit noch einmal darüber unterhalten, wie Sie Ihren Anspruch, den Menschen ratend zu helfen, verwirklichen können und dabei gleichzeitig weiter für sich Wissenschaftlichkeit in Anspruch nehmen können.