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Ausgabe 16 vom 1. März 2007 (als PDF):

24. Februar 2007 – Christian F. Görlich

»Die Allgemeine Didaktik ist auch heute eine Disziplin mit Zukunft«

Abschiedsveranstaltung zur Emeritierung von Prof. Dr. Meinert A. Meyer an der Hamburger Universität am 9. Februar 2007

Wenn sich Informatik zunehmend als Fach in den Schulen etablieren will, so ist nicht nur die Fachdidaktik gefordert, sondern es wird in dialektischer Verschränkung auch die Anschlussfähigkeit an gegenwärtige Diskussionen um die Allgemeine Didaktik zu thematisieren sein. Informatik wird sich fragen lassen müssen, welchen Beitrag sie für eine Allgemeine Bildung leisten kann bzw. inwieweit Reflexionen über die Allgemeine Bildung auf die Konstituierung der Informatik als Schulfach zurück wirken.

Kenner der Szene sprechen von einer gegenwärtig stürmischen Zeit für jene Teildisziplin der Erziehungswissenschaft, die sich Allgemeine Didaktik nennt. Wendepunkte wie eine Emeritierung eines Ordentlichen Professors mit dem Lehrstuhl für Schulpädagogik unter besonderer Berücksichtigung der Allgemeinen Didaktik sind deshalb günstige Gelegenheiten, um einmal inne zu halten, Bilanz zu ziehen und Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln.

Meinert Meyers erziehungswissenschaftliche Arbeit hat nicht zuletzt durch den Begriff der Bildungsgangdidaktik ein typisches und diskutiertes Profil erhalten. Die Bildungsgangdidaktik tendiert dazu, individuelle Lernbiographien in den Blick zu nehmen, die sich zunehmend komplexeren Situationen gegenüber gestellt sehen. Dies führt zu der zentralen Frage: Wie radikal können wir Individualität denken?

Das Kolloquium

Meinert Meyer hat immer gewusst, dass nicht allein die Dignität einer Idee ihr Überleben sichert, sondern dass es dazu auch einer Schülerschaft bedarf. Diese elementare wissensoziologische Einsicht war am 9. Februar 2007 vormittags in einem Kolloquium unter dem Titel »Baustellen der Bildungsgangforchung« eindrucksvoll erlebbar, das zahlreiche bei Meinert Meyer Habilitierte (unter ihnen: Uwe Hericks, Josef Keuffer, Ingrid Kunze) und Promovierte ihm zu Ehren vor illustren Gästen abhielten.

In Erinnerung bleibt die deutliche Ablehnung jeglicher Feiertagsdidaktik – zu der Hericks pikanter Weise auch den handlungsorientierten Ansatz von Meinerts Zwillingsbruder Hilbert zählt. Stattdessen sollte Didaktik sich phänomenologisch orientieren und auf best-practice (Hericks) oder auch gerade in sich widersprüchliche Beispiele (Keuffer) reflektieren.

Die Frage nach best practice wirft natürlich gleich die weitergehende Frage auf, an welchen Kriterien denn guter Unterricht fest gemacht werden könne. In der Diskussion wurde hier angesichts postmoderner Szenarien der Bezug auf die Aufklärung als unverzichtbar erklärt, wenn auch weniger emphatisch und in ironisch gebrochener Form in der Forderung nach Minimalisierung von Leid (in Anlehnung an Rorty) - Minimalisierung von Leid auch in der Schule und der Lehrerausbildung.

Konkret auf die Lehrerbildung bezogen wurde die Forderung aufgestellt, dass der werdende Lehrer mit der Selbstreflexion anfangen solle, »bevor er didaktisch in die Breite geht« (Hericks).

Da die Kenntnis aller Lernbiographien seiner Schüler eine Überforderung darstelle und in der Folge das Handeln kollabieren könne, sei stattdessen Fallarbeit angesagt.

Für nordrhein-westfälische Ohren erfrischend waren Josef Keuffers kritische Hinweise auf die Diskrepanz zwischen politischer Rhetorik (Stärkung der Selbstreflexion im Bildungssystem) und dem tatsächlichen politischen Handeln (Schließung des Landesinstituts, Erhöhung der Lehrerarbeitszeit). Mit gleicher Vehemenz wandte er sich gegen die einseitige Dominanz der empirischen Forschung im Wissenschaftsbetrieb und in der gegenwärtigen Politikberatung und warb überzeugend für die Wiederanerkennung und Stärkung hermeneutisch ausgerichteter Ansätze.

Die Abschiedsvorlesung

Hermeneutisch begann auch Meinert Meyer seine Abschiedsvorlesung »Allgemeine Didaktik aus der Perspektive der Bildungsgangforschung« am Nachmittag, indem er durch eine exemplarisch zu nennende Interpretation von Karl-Friedrich Schinkels Bild »Blick in Griechenlands Blüte« darlegte, wie jede Zeit ihr Bildungsideal durch eine Interpretation der ihr jeweils eigenen Zeit neu gewinnen muss.

Aufgabenfelder der Allgemeinen Didaktik

Allgemeine Didaktik hat einerseits solche Bildungsideale (etwa den Nationalstaat) kritisch zu dekonstruieren, aber auch unter dem Aspekt, dass Bildung immer auch eine Angelegenheit der Moral und des sittlichen Fortschritts ist, zu konstruieren. Worin ist heute in dieser so gearteten Welt dass Allgemeine der Allgemeinbildung zu sehen?

Mit solchen Reflexionen schafft eine Allgemeine Didaktik einen Orientierungsrahmen für die Bearbeitung allgemeindidaktischer Fragen in einem engeren Sinne: Wie werden Bildungsvorstellungen in Schule und Unterricht über Zielsetzungen, Inhalte, Methoden/Medien, Organisationsformen und Überprüfung der Wirkungen implementiert?

In der Deklination dieser jedem Referendar vertrauten Planungsaspekte von Unterricht weist Meyer klassische – weil bleibende – Problemstrukturen auf:

Zielsetzung

Trotz allem – wie auch immer gebrochenen – Bekenntnis zur Aufklärung beleibt eine antinomische Struktur: »Auf der einen Seite wollen wir, dass die Schülerinnen und Schüler im Erziehungs- und Unterrichtsprozess zunehmend selbstständiger werden, auf der anderen Seite ist dies unsere Zielsetzung, die wir den Schülerinnen und Schülern aufzwängen« (Meinert Meyer: Unveröffentliches Manuskript, 2007, S. 13).

Inhalte

Bei allem historischen Wandel der Vorstellung von Allgemeinbildung bleibt die Antinomie, dass Allgemeinbildung alles erschließen will, aber in Curricula auch über den Ausschluss von Inhalten definiert wird.

Unterrichtsmethoden und -medien

Gerade unter diesem Aspekt finden sich heute zahlreiche normative Setzungen – etwa unter den Stichworten: Handlungsorientierung oder Methodenvielfalt – deren Berechtigung erst noch durch empirische Untersuchungen zu untermauern wäre.
Mit Blick auf die Grundsatzproblematik des Gegensatzes von Instruktion und Konstruktion beruft sich Meinert Meyer auf John Deweys Pragmatismus mit der Forderung, dass Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit erhalten, ihre eigenen Erfahrungen zu machen. Bedenkenswert: Dabei solle der Orientierungsrahmen für die Gestaltung der Lernumgebungen eine zukünftig bessere Gesellschaft sein.
Gleichwohl bleibt auch hier die Antinomie von Planungsvorgaben und methodischer Selbstständigkeit – zuspitzbar über die Problematik des Implementationszusammenhanges von Inhalt und Methode.

Organisationsformen des Unterrichts

Hier verteilt Meinert Meyer besonders schlechte Noten. Es ist sicher mehr als ein Bonmot, wenn er feststellt: »Wir müssen akzeptieren, dass Schüler nicht unbedingt die Schule brauchen, um zu lernen, dass aber die Lehrer die Schule brauchen, um zu unterrichten.«

Unter Bezug auf Erich Weniger sieht Meyer in der Organisation von Schule und Unterricht das Einfallstor von Schulpolitik in den Schulraum: »Organisatorisches kann man ändern. Die Qualität von Unterricht zu manipulieren, ist viel schwieriger« (a.a.O. S. 17). Bei gleichzeitig zunehmender Ausdehnung der Schulzeit »Verschulung der Kindheit« mache die Institution Schule sich selbst zum Problem.

Welche Antworten hat die Allgemeine Didaktik auf solche Problemlagen gegeben?

Entwicklungstendenzen in der gegenwärtigen Didaktik

Interessant und aufschlussreich ist bei diesbezüglichen Überlegungen, dass die Akzeptanz und Verbreitung allgemeindidaktischer Ansätze in der Lehrerbildung geradezu als nicht relevante Größe zurückgewiesen wird. Das Bemühen gilt vielmehr dem Versuch, die didaktische Landkarte in Anschluss an Ewald Terhard neu zu zeichnen: »Dabei kommt es zu interessanten Entwicklungslinien:

  1. Die lerntheoretische Didaktik (Heimann-Otto-Schulz) könnte zur fachdidaktischen Lehr-Lern-Forschung ausgebaut werden. Zugleich eröffnet die lerntheoretische Didaktik Perspektiven im Hinblick auf die empirische (psychologische) Lehr-Lern-Forschung.
  2. Der kommunikations- und interaktionstheoretische Ansatz ist auf der Theorieebene nicht weiter entwickelt worden. Stattdessen ist er mit der Forderung nach Schülerorientierung, nach Erfahrungs- und Handlungsbezug und nach "offenen" Unterrichtsformen schulpraktisch ausgebaut und so wirksam geworden.
  3. Konstruktivistische Ansätze lassen sich als eine weitere, relativ junge Modellfamilie ausweisen. Da sie Lehren und Lernen entkoppeln und zugleich Anleihen bei der Reformpädagogik machen, entwerten sie sich nach Terharts Auffassung in ihrem Theorieanspruch.
  4. Die bildungstheoretische Didaktik kann zur Bildungsgangdidaktik mit der ihr zugeordneten Bildungsgangforschung ausgebaut werden und so die Orientierung auf Bildung prozessual und biographisch konkretisieren. (...) Schon jetzt sei darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Bildungsgangforschung auch für die Bildungstheorie empirische Perspektiven entwickelt werden können.
  5. Ergänzend weist Terhart darauf hin, dass die heutige Debatte über Bildungsstandards stark an die Curriculumreform der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts erinnert.«

Die bildungstheoretische, die kommunikationstechnische und die intergenerationelle Perspektive der Bildung

Verständlicherweise gilt Meinert Meyers Interesse besonders dem 4. Punkt – in kritisch-konstruktiver Auseinandersetzung mit Klafki, wobei der vorliegende Bericht die wesentliche Metamorphose von der phänomenologischen Theorie einer kategorialen Erschließung der Welt zur kommunikativen Wende im Denken Klafkis natürlich nur andeuten kann. Ohne Frage sieht Meinert in Klafkis epochalen Sclüsselproblemen eine wesentliche Weiterentwicklung des Klafkischen Theorienansatzes, aber Meyers Kritik zielt in zwei Richtungen. Theoretisch halten Begriffe wie »Epoche«, »typisch« oder »Schlüsselprobleme« einem nachfragenden Diskurs kaum stand. Praktisch sind die »epochalen Schlüsselprobleme« durch eine »gewaltige Differenz« getrennt von der Faktizität des Fächerkanons in den Schulen oder von der Anschliessbarkeit an gegenwärtige Diskussionen um »Basiskompetenzen«, »Bildungsstandards« oder »Kernfächer«.

Noch wichtiger ist aber Meyer wohl, dass die Schüler bei der Definition der Schlüsselprobleme nicht ausreichend beteiligt werden. »Was ihre Schlüsselprobleme sind, will Klafki mit ihnen eigentlich nicht verhandeln.«

Aber gerade dies: »Was Heranwachsende sagen und denken, ist aus der Perspektive der Bildungsgangforschung mehr als bedeutsam. (… ) Wir müssen akzeptieren, dass sich jede Generation ihre eigene Welt- und Selbtsicht schafft. Wir müssen als Lehrende akzeptieren, dass sich jede neue Generation ihre eigene Welt- und Selbstsicht schafft. Wir haben uns deshalb zu fragen, wie wir die intergenerationelle Kommunikation so gestalten können, dass die Heranwachsenden darin unterstützt werden, ihre eigene Welt zu schaffen - selbstbestimmt, in Solidarität mit den Anderen und mit uns und angeregt durch das, was wir, die Erwachsenen, ihnen als unsere Welt- und Selbstsicht präsentieren können. Eben dies intendiert Klafki, es ist aber m.E. mit der normativen Setzung epochaltypischer Schlüsselprobleme nur schwer verträglich« (a.a.O. S. 23f). Und um nicht nur die Akteure, sondern auch das Ergebnis/Ziel in den Blick zu nehmen, spricht Meyer hier auch von einer Pädagogik der Transformation bzw. einer Didaktik der Transformation. »Die Förderung von Bildung bedarf daher einer Kultur, die nicht nur die Reproduktion der Gesellschaft sichert, sondern gesellschaftliche Transformation ermöglicht« (Bastian, Meyer und andere, 2001, zit. nach Meyer a.a.O. S. 25).

Meyer beruft sich bei seiner Argumentation auf Helmut Peuckert, einem aber eher programmatischen Denker (Reflexionen über die Zukunft von Bildung. In: Zeitschrift für Pädagogik. Jg. 46. Heft 4, S. 507–524).

Meinert Meyers Kernthese lautet deshalb, dass die Bildungsgangforschung bei der Verwirklichung dieses Programms hilfreich sein könne.

Bildungsgangforschung

Meyer setzt hier empirisch an und beruft sich dabei auf beispielhafte Befragungen von Studierenden, wie sie sich einmal selbst etwas beigebracht haben. Die z.T. Recht originellen Beispiele werden im Original nachzulesen sein. Meyer fasst die Ergebnisse aus vielen Hundert Berichten zusammen:
»Lernen funktioniert, wenn
wenn man einfach etwas ausprobieren kann und auch Fehler machen darf,
wenn es interessant ist oder sogar begeistert,
wenn man über den Lernerfolg Anschluss an die anderen, die Älteren, die Peers, die Geschwister bekommt oder ihnen sogar imponieren kann,
wenn es eine Notsituation gibt, in der man einfach handeln muss, wenn's also »Druck« gibt,
wenn das, was zu lernen ist, wirklich ein Problem trifft,
wenn man einen Weg und ein dazugehöriges Ziel sieht,
wenn man sieht, dass einen die Aufgaben, die man bearbeitet, voranbringen, wenn die Aufgaben also erkennbar die eigene Entwicklung fördern,
wenn man sich mit dem, was man lernt, identifizieren kann.«

Nun dürfte der Neuigkeitsgrad dieser Liste eher als gering angesehen werden. Methodologisch interessant ist hier m. E., dass zunächst von Eigendarstellungen ausgegangen wird – selbst wenn sich die Ergebnisse a posteriori durch Lerntheorien bestätigen lassen.

Arno Combe, der unter den Telnehmern des Kolloquiums war, verweise hier auf seinen eigenen phänomenologischen Forschungsansatz zum Lernen; die Ergebnisse sind im Herbst 2007 zu erwarten.

Aus der Sicht der Lehrerbildung stellt sich die Frage, warum bisher eigentlich kaum entsprechende Berichte über Berufstlernprozesse in der Lehrerbildung vorliegen – wenn wir einmal von der Frustationsbewältigungliteratur absehen.

Aus der Sicht der Bildungsgangforschung ist allerdings das o.a. Herangehen an das Lernen einseitig, es ist um einen zweiten komplementären Aspekt, den der Lehre, zu ergänzen. Hier greift die bekannt gewordene Unterscheidung zwischen objektiven und subjektiven Bildungsgang, die es über Entwicklungsaufgaben, den »Motor des Lernens« (Ingrid Kunze), zu vermitteln gilt.

So definierte Entwicklungsaufgaben sind der Garant, dass Bildung nicht in bloßer Subjektivität verbleibt, ja es kann nach Meyer sogar bedeuten, dass ein Lehrer auch mal Kontra geben und Autonomie begrenzen muss. »Lernen ist manchmal auch Leiden.«

Während jedoch in konventioneller Sichtweise die Erwachsenen für die Heranwachsenden erkunden und festlegen, was die Probleme und Aufgaben sind, durch deren Bearbeitung ihre Bildung vorangetrieben werden soll, geht Meyer davon aus, »dass die Anforderungen, die sich den Heranwachsenden stellen, historisch- kulturell variieren und dass deshalb die subjektive Deutung des Lehrangebots im Rahmen der Lösung der Entwicklungsaufgaben eine Spannung zwischen subjektiven Deutungen und objektiven Vorgaben erzeugt, die die Dynamik der intergenerationellen Kommunikation und Interaktion bestimmt. Es ist noch nicht ausgemacht, was die <wirklichen> Entwicklungsaufgaben der nachwachsenden Generation sind. Es ist auch noch nicht ausgemacht, ob die etablierte Allgemeinbildung, wie sie die Schule vermittelt, Heranwachsende in der Lösung ihrer Entwicklungsaufgaben unterstützt, selbst eine Entwicklungsaufgabe beschreibt oder die Bearbeitung von Entwicklungsaufgaben behindert.«

Zu dieser These liegen mittlerweile auch etliche Forschungsarbeiten vor, die u.a. dokumentieren, dass auch Schüler bereits über beträchtliche didaktische Kompetenzen verfügen, aber das Klischeebild akzeptieren, dass die Lehrer den »Unterricht zu machen« haben. In Umkehrung fehlt es oft an der Anerkennung der didaktischen (nicht der fachlichen) Kompetenz der Schüler durch die Lehrer.

Hier ist für die Zukunft eine gemeinsame Entwicklungsaufgabe zu sehen.

Ausblicke

»Dass Schüler und Lehrer aneinander vorbeireden, ist keine neue Erkenntnis der Unterrichtsforschung. Es war für uns aber erhellend und insofern neuartig, dass wir immer wieder feststellen konnten, wie glatt Unterricht weiterläuft, obwohl Schüler und Lehrer aneinander vorbeireden. Unterricht kommt nicht zum Erliegen, wenn Lehrer und Schüler einander nicht verstehen, vielmehr konstruieren die Akteure jeweils ihre eigenen Welten. Sie finden ihren eigenen Sinn in dem, was abläuft.«

Meyer zitiert hier indirekt Luhmann mit seiner Behauptung, dass das Gelingen von Kommunikation eher unwahrscheinlich sei. Ich werde Meyers hier angeführte Beispiel in der Lehrerausbildung erproben, hier muss der Appell an die Vorstellungskraft ausreichen, sich vorzustellen, was passiert, wenn ein Lehrer mit preußischen Pflichtgefühl auf Schüler mit eher nachkommunistischer Erlebnis- und Spaßperspektive trifft.

Als entwicklungstreibende Unklarheiten für die Bildungsgangforschung bleiben nach Meyer so manche Fragen offen, Fragen nach dem Zusammenhang von Allgemeiner Bildung und Entwicklungsaufgaben, ob sich Kompetenzentwicklungen auch über Entwicklungsstufen beschreiben lassen, inwieweit die Diskussion über die Bildungsstandards aus einer Wiederbelebung der Curriculumdiskussion Nutzen ziehen und wie Lehrer und Schüler in der Abarbeitung ihrere jeweiligen Entwicklungsaufgaben sinnvoll kooperieren können.

Für den Unterricht gelte es die Sinnkonstruktuion als den umfassenderen, angemesseneren Begriff für die oberste Zielkonstruktion auszuweisen – ohne dabei das kritische Potential des trotzig-ironischen Festhaltens der älteren Generation an Aufklärung und sei es nur im Sinne von Leidminimalisierung zu verlieren. Unterrichtsmethodisch gelte es Schülerpartizipation in authentischen Situationen zu ermöglichen. Insgesamt gelte es, in den Institutionen und Organsiationsformen der Schule geronnene Entscheidungen zu sehen, die dementsprechend immer wieder neu gestaltet werden können und müssen. Dabei wird die Antinomie zwischen einer Pluralität der Welt- und Selbstkonzepte, der Individualität des Lernens und der Schulautonomie einerseits und der Standardisierung der Leistungsansprüche und Evaluation der tatsächlich erbrachten Leistung auszuhalten sein.

Aus der Perspektive der Lehrerbildung macht es in Zeiten von empirischen Untersuchungen wie TIMSS, PISA und DESI Hoffnung zu sehen, dass auf der Baustelle Allgemeine Didaktik bereits über eine neue kritische (hermeneutische) Wende nachgedacht wird.

Aus der Sicht der Informatik bleibt anzumerken, dass Görlich/Humbert (2003) über die Etablierung des Begriffes der informatischen Vernunft einen Beitrag der Informatik zur Allgemeinen Didaktik in die Diskussion eingebracht haben. Sie plädieren grundsätzlich für einen weiteren Medienbegriff als der von Meinert Meyer oben verwendete: Medien sind der Wahrnehmung und Weltaneignung dispositiv vorgelagert. In diesem Zusammenhang steht der Begriff der informatischen Vernunft in bewusster Abgrenzung zu einem bloß instrumentellen Verständnis, indem Voraussetzungen und (aufklärerische) Zielsetzungen in informatisches Denken einbezogen bleiben.

Literatur:

Meinert Meyer: Abschiedsvorlesung – Allgemeine Didaktik aus der Perspektive der Bildungsgangforschung. 9. Februar 2007, Stand: 10.02.2007. Unveröffentlichtes Manuskript

Christian F. Görlich und Ludger Humbert: Zur Rolle der Informatik im Kontext der mehrphasigen Lehrerbildung. INFOS 2003 – München – Tagungsband – S. 89–99

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