Die Textbeschreibungssprache LaTeX bietet im Informatikunterricht der Sekundarstufe I einen interessanten Zugang zum Unterrichtsinhalt »Textverarbeitung«, denn sie ermöglicht es, bei diesem Thema informatisch (d.h. strukturorientiert) vorzugehen und damit den SchülerInnen eine strukturorientierte Sicht auf Textdokumente nahezubringen. Aus diesem Grund kann LaTeX auch blinden und sehbehinderten Menschen die Möglichkeit bieten, Texte strukturiert zu erstellen und, umgekehrt, zugänglich gemacht zu bekommen.
Bei Textbeschreibungssprachen oder Auszeichnungssprachen, die jedem Textsatzsystem zugrunde liegen, handelt es sich um formale Sprachen zur logischen Beschreibung des Aufbaus von Textdokumenten. Dabei wird jeder Bestandteil eines Dokuments nach seiner Funktion (etwa als neues Kapitel samt Überschrift, als Abbildung, Tabelle, Aufzählung, Gleichung, Zitat, Inhaltsverzeichnis, etc.) ausgezeichnet (markiert) und nach Bedarf mit Attributen wie Stil, Größe und Ausrichtung versehen. Die strukturierenden Elemente werden dabei in den Text des zu erzeugenden Dokuments integriert und beschreiben seinen inhaltlichen Aufbau. Deswegen ist die Struktur, die dem Textdokument zugrunde liegt, jederzeit in dessen Quelltext verfügbar.
Im Gegensatz dazu ist es das Prinzip von WYSIWYG-Systemen (»What you see is what you get«), solange einen Text zu bearbeiten, bis er auf der Bildschirmanzeige ein ansprechendes Layout hat.
Ein auf diesen Überlegungen basierender Aspekt von Textbeschreibungssprachen besteht darin, elektronische Texte für sehbehinderte und blinde Menschen zugänglich zu machen und es Sehbehinderten zu ermöglichen, Textdokumente selbst elektronisch zu erstellen. Im Unterschied zu Dokumenten, die unter Verwendung von WYSIWYG-Systemen erzeugt werden, bieten Textbeschreibungssprachen den Vorteil, dass sie Textdokumente anhand ihrer logischen Struktur erzeugen. Blinde können deshalb lineare Textdokumente erstellen, indem sie beim Eingeben des Textes diesen durch LaTeX-Befehle so strukturieren, wie sie sich seinen Aufbau vorstellen. Dadurch entsteht zusammen mit dem Textdokument eine Beschreibung seines Aufbaus – praktisch eine Anleitung zum strukturierten Vorlesen des entstandenen Textdokuments. Diese ermöglicht es, den Text Blinden und Sehgeschädigten logisch strukturiert und damit verständlich mit Hilfe geeigneter Informatiksysteme zugänglich zu machen.
Die konkrete Umsetzung dieses Ansatzes steht noch am Anfang. Ich verweise hier auf Beiträge und Berichte verschiedener Institutionen und Personen zu diesem Thema. Diese Hinweise sind im weltweiten Netz unter den angegebenen URLs verfügbar.
Michael Schäffler berichtet über seine Erfahrungen mit LaTeX an der Schloss-Schule Ilvesheim www.schloss-schule-ilvesheim.de und stellt fest: »Auf Grund dieser Erfahrung bin ich der Ansicht, dass es sich für Blinde, die LaTeX als mathematischen Code benutzen, durchaus lohnt, sich auch mit LaTeX als Satzsystem zu befassen.« Er schreibt weiter: »Die Befehle zur Gestaltung des Dokumentes stehen direkt im Text. Wer ihre Bedeutung kennt, weiß, wie sie sich auswirken und dass sie von LaTeX nach allen Regeln der Buchdruckerkunst umgesetzt werden. So gesehen ist LaTeX vielleicht die ideale Textverarbeitung für Blinde, unter dem Motto: »What you say is what you get«. Man muss LaTeX eben nur sagen, was man will. Dagegen war der Slogan »What you see is what you get« für Blinde schon immer eine zweifelhafte Verheißung« [www.schloss-schule-ilvesheim.de/Software/demo/demo.html].
Der DVBS (Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V.) beschäftigt sich auf seiner Homepage und in seiner dort verfügbaren Online-Zeitschrift horus u.a. mit der Rezeption elektronischer Dokumente durch Blinde und Sehbehinderte, mit LaTeX als Mathematikschrift für Blinde und mit dem Einsatz von LaTeX schon in der Grundschule für die Eingabe von Texten durch Blinde [vgl. www.dvbs-online.de].
Einen Bericht über den Einsatz von LaTeX als Mathematikschrift für Blinde in Schleswig-Holstein liefert Ulrike Baasch [siehe: sonderpaedagogik.bildung.hessen.de/blind_sehbehindert/lamas/ErfahrungenSchleswig].
In einem Positionspapier der Kultusministerkonferenz vom Juni 2001 zur Verbesserung der Literaturversorgung für blinde und sehbehinderte Studierende heißt es unter dem Stichpunkt »Nutzung ektronischer Dokumente«: »In der Publikationswelt häufig verwendete Formate wie RTF, Postscript, PDF, QuarkXpress oder Pagemaster sind nicht unmittelbar und vollständig für Blinde oder Sehbehinderte nutzbar. Textanteile, die in der Regel mittels Filterprogrammen problemlos aus den Datenformaten extrahiert werden können, verlieren während der Konvertierung ihre Struktur und sequentielle Ordnung. Das macht ein zeitaufwendiges Nacharbeiten der Texte durch Sehende erforderlich. Auch Bild- und Grafikanteile bedürfen einer manuellen Umsetzung bzw. Beschreibung durch Sehende. Entscheidende Vorteile bieten strukturierte Dokumentenformate wie LaTeX, HTML oder XML. Bei Einsatz der in diesen Formaten vorhandenen Strukturierungsmittel können komfortabel blinden- und sehbehindertengerechte Darstellungen erzeugt werden. Derzeit sind erste Softwarewerkzeuge wie Browser und Konvertierungsprogramme in Entwicklung (z.B. DAISY Projekt). Die Entwicklungen stehen hier erst am Anfang. Jedoch liegt auf diesem Gebiet, verbunden mit einer intensiven Kooperation mit Autoren und Verlagen, ein enormes Potenzial für eine entscheidende Verbesserung des Informationszuganges Blinder und Sehbehinderter« [Verbesserung der Literaturversorgung für blinde und sehbehinderte Studierende ; Positionspapier der Kultusministerkonferenz vom 28.06.2001] vgl. www.kmk.org/doc/publ/posblind.pdf