Am 24. Mai 2005 hielt Herr Görlich auf Einladung der
Fachgruppe Didaktik der Informatik von Frau Professor Schubert an der
Universität Siegen einen Vortrag, der den Titel trug:
„Informatische Vernunft und Bildung“.
Darin stellt er Überlegungen an zu einer Neugewinnung des
Bildungsbegriffs in einer durch die Informationstechnologien geprägten
Welt – eine Fragestellung, mit welcher er sich zusammen mit
Dr. Ludger Humbert beschäftigt.
Während Herr Humbert Informatiker und Informatikdidaktiker ist,
betrachtet Herr Görlich diese Fragestellung vom Standpunkt des
Philosophen aus.
Der Vortrag bestand aus sechs Teilen: Den Beginn bildeten Überlegungen zum Zusammenhang zwischen Bildung und Sprache. Anschließend wurde ein Definitionsversuch zum Begriff „Informatische Vernunft“ unternommen. Ein längeren Teil seines Vortrages nahmen verschiedene Annäherungen an den Begriff „Information“ ein. Darauf aufbauend wurden in den nächsten beiden Teilen des Vortrages die Begriffe „Vernunft“ und „Bildung“ behandelt. Den letzten Teil nahmen einige abschließende Überlegungen ein.
An den Anfang seines Vortrages stellte Herr Görlich die Überlegungen
des deutschen Philosophen Robert Spaemann zu der Frage, was einen
gebildeten Menschen ausmache.
Laut Spaemann zeichnet sich ein solcher dadurch aus, dass er eine
differenzierte, nuancenreiche und persönliche Sprache spricht, einfache
Sachverhalte einfach ausdrücken kann und die Sprache der Wissenschaft
zwar beherrscht, aber nicht von ihr beherrscht wird.
Die Rede von der „informatischen Vernunft“ meint nicht nur die instrumentelle Kenntnis von Methoden und Sachverhalten der Wissenschaft Informatik sondern soll auch den philosophischen Anspruch der Aufklärung wachhalten.
Grundlegend ist die Auseinandersetzung mit dem Begriff der
Information. Information geht zurück auf das lateinische
informatio, das für Bilden und Bildung als fertiges Produkt
steht.
Das Historische Wörterbuch der Philosophie spricht einerseits vom
Prinzip, „durch Mitteilung in Kenntnis zu setzen“,
andererseits (ausgehend von der scholastischen Philosophie) von der
Gestaltung der Materie durch Form. Damit ist informatio auch mit
dem griechischen charakterismos verwandt, das für das steht, was
eine bestimmte Sache ausmacht, eben das Charakteristische einer
Sache.
Zur Frage nach der Bedeutung des Begriffs „Information“ gibt
es die unterschiedlichsten Zugänge. Norbert Wiener sagt, Information sei
nur Information und nicht Energie und Materie, also eine eigene und
eigenständige Entität. Der Informatik-Duden stellt die Information
zusammen mit Energie und Materie in die Reihe der wichtigsten
Grundbegriffe der Natur- und Ingenieurwissenschaften.
Carl Friedrich von Weizsäcker betrachtet in seinem Buch „Die
Einheit der Natur“ die Information gleichsam als eine
ingenieurtechnische Maßgröße: „ … Materie, Bewegung, Form
und ihre Maßgrößen Masse, Energie, Information … “. Kommt es
also nur auf den Gehalt an Information an, der einer Sache
innewohnt?
Dieser Zugang weist also in Richtung der Physik, die sich letztlich mit
der Frage nach der Einheit der Natur, der Suche nach einer
„Weltformel“ (und damit der Suche nach Gott?) beschäftigt.
Doch was wäre der Nutzen einer solchen Erkenntnis für die
Menschheit?
Eine weitere der großen Fragen ist „What makes meaning?“. Was
gibt einer Sache ihre Bedeutung? Die Antwort lautet: Der jeweilige
Beobachter. Doch spätestens seit der Formulierung der Quantenmechanik ist
dieser nicht mehr als neutral anzusehen. Er greift selbst in das System
ein.
Was ist also Information? Der österreichische Physiker Anton Zeiliger
beantwortet diese Frage so: „Information ist der Urstoff des
Universums.“
Gibt es eigentlich eine Mehrzahl von „Vernunft“? Max
Horkheimer kritisiert die instrumentelle Vernunft. Dadurch, dass Vernunft
ihre Zwecksetzungskompetenz einbüße, dominierten die Mittel die Zwecke.
Nach Kant ist die Vernunft der Inbegriff der drei obersten
Erkenntnisquellen, Natur, Ethik und Ästhetik (Gefühl von Lust und
Unlust).
Der deutsche Philosoph Gerhard Roth dagegen hält einen freien Willen für
illusorisch. Stattdessen dominierten unter- und unbewusste Prozesse. Auch
der amerikanische Philosoph Richard Rorty hält objektive Wahrheiten für
eine Illusion.
Welche Aspekte einer „informatischen Vernunft“ sind
bedeutsam? Zum einen gibt es keinen absoluten Wahrheitsanspruch. Zum
zweiten gilt es, bei der Erarbeitung von Konzepten die Ziele zu
reflektieren, zu denen unbedingt eine leidminimales, ästhetisches Leben
gehören soll.
Zum Begriff der Bildung gibt es viele Einlassungen: von Hentig, Klafki
und vile mehr haben sich dazu geäußert. Didaktik ist nach Comenius die
Kunst, allen alles zu lehren.
Doch wer sind „alle“? Doch nicht nur
diejenigen, die über den Zugang zu und die Kontrolle der
Informationstechnologie verfügen. Nach Peuckert muss es das Ziel eines
Bildungsbegriffes sein, das Überleben und eine humane Existenzform für
immer mehr Menschen möglich zu machen.
Und woraus besteht „alles“? Zur Beantwortung dieser Frage
gilt es auch, die Bedeutung der Naturwissenschaften für einen zeitgemäßen
Bildungsbegriff zu klären.
Während die Naturwissenschaften das Ziel verfolgen, die Welt
physikalisch zu beschreiben, ohne sich um die Nutzung und den eventuellen
Missbrauch ihrer Erkenntnisse zu kümmern, muss die Informatik beim
Verfolgen ihrer Aufgabe, der Reformierung der theoretischen Vernunft,
durch Bedenken und Reflektion der möglichen Auswirkungen der gewonnenen
Erkenntniss Missbrauch zu verhindern suchen. Zudem ist die ästhetische
Kategorie bei ihrer Arbeit bedeutsam.
Die Strukturierung der Informatik als eigener Wissenschaft bedingt in
jedem Fall eine Klärung des Status der Information bei der Frage danach,
wie der Mensch denkt.
Informatische Vernunft ist keine technische Vernunft zum Erreichen
vorgegebener Ziele.