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Ausgabe 2 vom 1. Juli 2005 (als PDF):

26. Juni 2005 – Ralf Greb / Markus Hufnagel

Christian F. Görlich: „Informatische Vernunft und Bildung“

Vortrag an der Universität Siegen – Fachgruppe Didaktik der Informatik – 24. Mai 2005

Am 24. Mai 2005 hielt Herr Görlich auf Einladung der Fachgruppe Didaktik der Informatik von Frau Professor Schubert an der Universität Siegen einen Vortrag, der den Titel trug: „Informatische Vernunft und Bildung“.
Darin stellt er Überlegungen an zu einer Neugewinnung des Bildungsbegriffs in einer durch die Informationstechnologien geprägten Welt – eine Fragestellung, mit welcher er sich zusammen mit Dr. Ludger Humbert beschäftigt.
Während Herr Humbert Informatiker und Informatikdidaktiker ist, betrachtet Herr Görlich diese Fragestellung vom Standpunkt des Philosophen aus.

Der Vortrag bestand aus sechs Teilen: Den Beginn bildeten Überlegungen zum Zusammenhang zwischen Bildung und Sprache. Anschließend wurde ein Definitionsversuch zum Begriff „Informatische Vernunft“ unternommen. Ein längeren Teil seines Vortrages nahmen verschiedene Annäherungen an den Begriff „Information“ ein. Darauf aufbauend wurden in den nächsten beiden Teilen des Vortrages die Begriffe „Vernunft“ und „Bildung“ behandelt. Den letzten Teil nahmen einige abschließende Überlegungen ein.

1. Der Zusammenhang zwischen Bildung und Sprache

An den Anfang seines Vortrages stellte Herr Görlich die Überlegungen des deutschen Philosophen Robert Spaemann zu der Frage, was einen gebildeten Menschen ausmache.
Laut Spaemann zeichnet sich ein solcher dadurch aus, dass er eine differenzierte, nuancenreiche und persönliche Sprache spricht, einfache Sachverhalte einfach ausdrücken kann und die Sprache der Wissenschaft zwar beherrscht, aber nicht von ihr beherrscht wird.

2. Informatische Vernunft und der Bildungsbegriff

Die Rede von der „informatischen Vernunft“ meint nicht nur die instrumentelle Kenntnis von Methoden und Sachverhalten der Wissenschaft Informatik sondern soll auch den philosophischen Anspruch der Aufklärung wachhalten.

Christian F. Görlich

Bild von Herrn Görlich – Quelle

3. Der Begriff „Information“

Grundlegend ist die Auseinandersetzung mit dem Begriff der Information. Information geht zurück auf das lateinische informatio, das für Bilden und Bildung als fertiges Produkt steht.
Das Historische Wörterbuch der Philosophie spricht einerseits vom Prinzip, „durch Mitteilung in Kenntnis zu setzen“, andererseits (ausgehend von der scholastischen Philosophie) von der Gestaltung der Materie durch Form. Damit ist informatio auch mit dem griechischen charakterismos verwandt, das für das steht, was eine bestimmte Sache ausmacht, eben das Charakteristische einer Sache.
Zur Frage nach der Bedeutung des Begriffs „Information“ gibt es die unterschiedlichsten Zugänge. Norbert Wiener sagt, Information sei nur Information und nicht Energie und Materie, also eine eigene und eigenständige Entität. Der Informatik-Duden stellt die Information zusammen mit Energie und Materie in die Reihe der wichtigsten Grundbegriffe der Natur- und Ingenieurwissenschaften.
Carl Friedrich von Weizsäcker betrachtet in seinem Buch „Die Einheit der Natur“ die Information gleichsam als eine ingenieurtechnische Maßgröße: „ … Materie, Bewegung, Form und ihre Maßgrößen Masse, Energie, Information … “. Kommt es also nur auf den Gehalt an Information an, der einer Sache innewohnt?
Dieser Zugang weist also in Richtung der Physik, die sich letztlich mit der Frage nach der Einheit der Natur, der Suche nach einer „Weltformel“ (und damit der Suche nach Gott?) beschäftigt. Doch was wäre der Nutzen einer solchen Erkenntnis für die Menschheit?
Eine weitere der großen Fragen ist „What makes meaning?“. Was gibt einer Sache ihre Bedeutung? Die Antwort lautet: Der jeweilige Beobachter. Doch spätestens seit der Formulierung der Quantenmechanik ist dieser nicht mehr als neutral anzusehen. Er greift selbst in das System ein.
Was ist also Information? Der österreichische Physiker Anton Zeiliger beantwortet diese Frage so: „Information ist der Urstoff des Universums.“

4. Der Begriff „Vernunft“

Gibt es eigentlich eine Mehrzahl von „Vernunft“? Max Horkheimer kritisiert die instrumentelle Vernunft. Dadurch, dass Vernunft ihre Zwecksetzungskompetenz einbüße, dominierten die Mittel die Zwecke. Nach Kant ist die Vernunft der Inbegriff der drei obersten Erkenntnisquellen, Natur, Ethik und Ästhetik (Gefühl von Lust und Unlust).
Der deutsche Philosoph Gerhard Roth dagegen hält einen freien Willen für illusorisch. Stattdessen dominierten unter- und unbewusste Prozesse. Auch der amerikanische Philosoph Richard Rorty hält objektive Wahrheiten für eine Illusion.
Welche Aspekte einer „informatischen Vernunft“ sind bedeutsam? Zum einen gibt es keinen absoluten Wahrheitsanspruch. Zum zweiten gilt es, bei der Erarbeitung von Konzepten die Ziele zu reflektieren, zu denen unbedingt eine leidminimales, ästhetisches Leben gehören soll.

5. Der Begriff „Bildung“

Zum Begriff der Bildung gibt es viele Einlassungen: von Hentig, Klafki und vile mehr haben sich dazu geäußert. Didaktik ist nach Comenius die Kunst, allen alles zu lehren.
Doch wer sind „alle“? Doch nicht nur diejenigen, die über den Zugang zu und die Kontrolle der Informationstechnologie verfügen. Nach Peuckert muss es das Ziel eines Bildungsbegriffes sein, das Überleben und eine humane Existenzform für immer mehr Menschen möglich zu machen.
Und woraus besteht „alles“? Zur Beantwortung dieser Frage gilt es auch, die Bedeutung der Naturwissenschaften für einen zeitgemäßen Bildungsbegriff zu klären.

6. Abschließende Überlegungen

Während die Naturwissenschaften das Ziel verfolgen, die Welt physikalisch zu beschreiben, ohne sich um die Nutzung und den eventuellen Missbrauch ihrer Erkenntnisse zu kümmern, muss die Informatik beim Verfolgen ihrer Aufgabe, der Reformierung der theoretischen Vernunft, durch Bedenken und Reflektion der möglichen Auswirkungen der gewonnenen Erkenntniss Missbrauch zu verhindern suchen. Zudem ist die ästhetische Kategorie bei ihrer Arbeit bedeutsam.
Die Strukturierung der Informatik als eigener Wissenschaft bedingt in jedem Fall eine Klärung des Status der Information bei der Frage danach, wie der Mensch denkt.
Informatische Vernunft ist keine technische Vernunft zum Erreichen vorgegebener Ziele.

Die hier veröffentlichten Inhalte stellen keine Meinungsäußerungen der Studienseminare Hamm Arnsberg dar.
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