Am 28. Juni 2005 lud Dr. Ludger Humbert zu einem Vortrag ins Studienseminar Hamm. Thema war der seit der Tagung Informatik und Schule (INFOS) 2003 einsetzende Standardisierungsprozess – beziehungsweise die beginnende Diskussion um die Notwendigkeit der Entwicklung von Standards für Informatikkompetenzen in der allgemeinen Bildung. Ausgehend von den grundlegenden Begriffen Norm und Standard stellte er das Kompetenzklassenmodell von Puhlmann vor. Anhand von konkreten Beispielen in Form von Test-Items nach dem PISA-Muster wurden die Konsequenzen für den mittleren Bildungsabschluss diskutiert.
Zu Beginn des Vortrags stellte Herr Humbert den Begriff der Norm als eine (allgemein) gültige Regel vor. Die breite Anwendung einer solchen Norm wird als Standard bezeichnet. Nachdem Normierung in den technischen Gebieten wie der Informatik bereits lange Tradition hat und Dienstleistungen im Rahmen von Qualitätssicherung zunehmend zertifiziert werden, sind nun Bildungsinstitutionen und –inhalte Gegenstand von Normierungsbestrebungen (z.B. ISO 9000 guidelines for education sector).
Herr Humbert stellte die Grundstruktur der Allgemeinbildung nach Jürgen Baumert (Baumert 2002) vor. Darin werden die Modi der Weltbegegnung (Orientierungswissen) dem Erlernen des Beherrschens der Kulturwerkzeuge (Kompetenzen) zugeordnet, d.h. jedem Fach des klassischen Fächerkanons werden zugehörige Kompetenzen wie beispielsweise die Mathematisierungskompetenz zugeordnet. Herr Humbert merkte an, dass die IT-Kompetenz in dieser Übersicht angegeben ist, das Fach Informatik aber fehlt.
Die Lehrpläne für die Fächer des klassischen Fächerkanons sind Charakteristikum der bisher im Bildungsbereich praktizierten Inputorientierung, d.h. der Festlegung von Bildungsinhalten. Da nach den internationalen Vergleichsstudien die Effektivität solcher Vorab-Festlegung in Frage gestellt wird, kristallisiert sich als Reaktion eine Konzentration auf Outputorientierung heraus. Das heißt, es wird normiert und gemessen, was Schülerinnen und Schüler beispielsweise nach dem mittleren Bildungsablschluss können (müssen) – unabhängig von den unterschiedlichen Lehrplänen.
Dazu bedarf es der Angabe einerseits von Kompetenzstufen zur Differenzierung nach verschiedenen Niveaus und andererseits von Kompetenzklassen zur Charakterisierung der Beschäftigung mit Informatik. Nach Hermann Puhlmann (Puhlmann 2003) existieren folgende drei Kompetenzklassen:
Herr Humbert sprach von der informatischen Literalität, also einem Grundbildungskonzept, das Schülerinnen und Schüler zu mündigen Bürgern der Informationsgesellschaft macht. Die objektorientierte Modellierung stellt den zurzeit maßgeblichen Zugang zur Erreichung solcher theoriegeleiteter Handlungskompetenz dar. Bezüglich des Zentralabiturs in NRW stellt sich jedoch z.B. die Frage „Wie kann Modellierung geprüft werden?“
Herr Humbert leitet daraus zwei allgemeinere Fragestellungen ab, die es zu beantworten gilt:
Insbesondere der letztgenannte Punkt erfordert die gewissenhafte Auswahl eines adäquaten Kompetenzstufenmodells. Ziel ist es, aus den mit Test-Items für unterschiedliche Kompetenzniveaus gemessenen Kompetenzen die Einführung einer verpflichtenden informatischen Bildung für alle Schülerinnen und Schüler abzuleiten. Fachthemen müssen einer Prüfung als Fundamentale Idee standhalten (Schwill 1993), um Bildungsinhalt des Fachs Informatik zu werden, und zusätzlich Prüfbarkeit der (IT-)Kompetenzen ermöglichen.
Darauf aufbauend präsentierte Herr Humbert Test-Items im Stile der PISA-Items. Die Erfahrung aus dem Fach Mathematik zeigt, dass es nicht ohne Schwierigkeiten möglich ist, Aufgaben zur Lernstandskontrolle trennscharf für die einzelnen Kompetenzbereiche zu formulieren. In einem Test-Item ging es darum, den Lernstand bezüglich grundlegender Strukturmomente wie Klammer- oder Blockstrukturen zu überprüfen. Zu dem Stimulus (siehe Abbildung 1) wurden Aufgaben gestellt, die in ihrer Gesamtheit die oben genannten Kompetenzklassen abdecken.
Abbildung 1: Stimulus eines Test-Items zu Klammer- und Blockstrukturen
Konkret wurde gefordert, vorgegebene Textteile eines HTML-Dokuments an die richtige Stelle in der HTML-Blockstruktur und der Baumstruktur einzuordnen. Außerdem war es Aufgabe zu beschreiben, was die beiden Grafiken verdeutlichen, und die Unterschiede der Grafiken zu erklären. Ziel der Aufgabe war es zu prüfen, ob die Blockdarstellung des HTML-Dokumentes und die atypische Baumstruktur von Lernenden als isomorph erkannt werden und der Baum zur Erreichung einer Linearisierung in der richtigen Weise traversiert wird. Als überfachliche Kompetenz ist das Interpretieren-können grafischer Darstellung überprüfbar.
In einer zweiten Aufgabe zur Software-Ergonomie sollten die Prüflinge ein vorgebenes Dialogfenster zum Anmelden in ein Informatiksystem beschreiben. Es wurde gefragt, wie die Zeichen zur Eingabe des Benutzernamens und des Passwortes dargestellt werden, was nach Betätigung eines „Abbrechen“-Knopfes geschehen wird und wie die Lernenden den Dialog selbst gestalten würden – also implizit welche (sprachlichen) Fehler bei der Gestaltung des vorgegebenen Dialogfensters gemacht wurden.
Nach der Diskussion der Aufgaben schließt Herr Humbert, dass eine wissenschaftliche Evaluation, wie mit Aufgaben das Erfüllen des Bildungsauftrags des Schulfachs Informatik geprüft werden kann, notwendig ist. Die durch die Informatik vermittelbare Sprachkompetenz, insbesondere das Lesen und Erstellen grafischer Strukturen zur Beschreibung dynamischer Prozesse, geht über die bisher in der PISA-Studie überprüften Elemente der Sprachkompetenz hinaus. Herr Humbert wies auf die Notwendigkeit hin, den Lernstand der Schülerinnen und Schüler der Hauptschule durch Test-Items zu überprüfen, da es um eine allgemeine Bildung geht.
In der an den Vortrag anschließenden Diskussion ging es u.a. um den Stellenwert der Medienkompetenz im Fach Informatik an Realschulen. So herrschte weitgehende Einigkeit darüber, dass Medienkompetenz gerade für Lernende wichtig sei (beispielsweise das Erstellen von Präsentationsfolien), die den mittleren Bildungsabschluss anstreben. Kontrovers wurde jedoch diskutiert, inwieweit das Fach Informatik diese Lehraufgaben übernehmen sollte. So sei zu erwarten, dass Schülerinnen und Schüler Präsentationstexte mit allerlei buntem Beiwerk produzieren, da die verbreiteten Büroanwendungen zu komplex geworden sind, um die für den (Informatik-) Unterricht notwendige zielgerichtete Exploration zu gewährleisten. Ist die Diskussion solcher ästhetischer Fragen Inhalt des Schulfachs Informatik? In diesem Zusammenhang wurde dann darüber gesprochen, in welchem Maß durch den Einsatz von Büroanwendungs- und Textverarbeitungssoftware informatische Bildungsziele und Medienkompetenz kombiniert gelehrt werden können (vgl. If Fase Nr. 1 – „Siglinde Voß: Informatikunterricht versus Softwareschulung?“).
Frau Prof. Schubert von der Universität Siegen berichtete anschließend über ihr von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Projekt „Informatikunterricht im digitalen Medienumbruch“, dessen Ziel die Entwicklung von Unterrichtsmodellen, Lernmaterialien und Bildungsstandards für das Fach Informatik bezüglich der Medienkompetenz ist. Bildungsgegenstand sind Strukturen, Kommunikationsbeziehungen und Informationssicherheit im Internet unter Berücksichtigung von Geschlechter-, Berufs- und Kulturspezifik.
Die Vortragsfolien sind zu finden unter www.ham.nw.schule.de/pub/bscw.cgi/d137022/2005-06-28_Informatikkompetenzen_Standards.pdf . Weitere Publikationen von Herrn Humbert befinden sich unter www.ham.nw.schule.de/pub/bscw.cgi/0/20959/Publikationsliste.html .
(Puhlmann 2003) Puhlmann, Hermann: Informatische Literalität nach dem PISA-Muster. In: Hubwieser, Peter (Hrsg.): Informatik und Schule – Informatische Fachkonzepte im Unterricht INFOS 2003 – 10. GI-Fachtagung 2003, München. S. 145–154
(Baumert 2002) Baumert, Jürgen: Deutschland im internationalen Bildungsvergleich. In: Killius, Nelson (Hrsg.) ; Kluge, Jürgen (Hrsg.) ; Reisch, Linda (Hrsg.): Die Zukunft der Bildung. Frankfurt a.M. : Suhrkamp, Juni 2002. S. 100–150
(Schwill 1993) Schwill, Andreas: Fundamentale Ideen der Informatik. In: Zentralblatt für Didaktik der Mathematik 25 (1993), Nr. 1, S. 20–31